Dieser Artikel ist zuerst in meinem Buch Faszination Tauschring erschienen. Die Übersicht dazu in chronologischer Reihenfolge befindet sich hier.


Ich bin Andreas Artmann. Ich beschäftige mich schon seit 1997 mit den Tauschringen. Zuerst nur als aktives Mitglied in einem münsteraner Tauschring. Später auch auf Bundesebene.

Nach meiner aktiven Zeit im Tauschring habe ich einige Jahre das Tauschmagazin als Zeitschriftenprojekt herausgegeben.

Eine der Fragen die immer wieder an meinem persönlichen Erkenntnishorizont auftaucht, ist:

Was zum Himmel war - und ist - an dem Thema Tauschring so aufregend, dass ich mich nun schon über 23 Jahre damit beschäftige?

Sofort erscheinen viele Erinnerungsblitze:

Meine Zeit als herumreisender Maschinebau - Monteur im goldenen Dreieck in der ich ein kleines Vermögen verdiente. Seinerzeits schwamm ich förmlich im Geld.

Die Zeit in der ich - auch als Globetrotter - alles Geld wieder verlebte. Dann die Zeit als ich sesshaft wurde und auf einmal die andere Seite, die auf Schulden aufgebaute Abhängigkeit kennenlernte.

Meine persönliche Entwicklung von einem “Muttersöhnchen” zu einem “gestressten Manager”.

Aus diesen persönlichen Erlebnissen ergab sich schon bei meiner ersten Begegnung mit dem Begriff Tauschring eine tief berührende Faszination, die ich erst im Laufe der Zeit immer besser zu verstehen begann.

Mit dem Eintritt in einen Tauschring, der Lokalen Wirtschaftsinitiative “LOWI” in Münster, begann eine bis heute andauernde Beziehung zu dieser Thematik.

Danach folgten Erlebnisse auf den Bundestreffen der Tauschringe, als Betreiber des Ressourcen-Tauschring (RTR), die Auseinandersetzung mit dem Thema Regionalgeld, die Einführung des Bundesarbeitstreffens der Tauschringe, die Entstehung des Tauschwiki, meine Zeit als Herausgeber des Tauschmagazins und aktuell die die Herausgabe dieses Buches.

Schon in dieser kurzen Einleitung glitzert die Vielfalt und die Vielschichtigkeit der Erlebnisse und Erfahrungen hindurch.

Mit Abstand betrachtet wirken Tauschringe auf mich wie ein kleines Abbild der Gesellschaft. So eine Art gesellschaftlicher Sandkasten, in dem Menschen Experimente wagen können und neue Verhaltensweisen ausprobieren und erproben können.

Anfangs glaubte ich sogar an die “weltbewegende” Kraft der Idee. Doch mit den Jahren erlebte ich auch Stagnation und Besitzstandswahrung. Der Glanz der revolutionären Idee verlor sich immer mehr.

Heute trenne ich die forschende Beschäftigung mit den Erfahrungsfeldern die Tauschringe in der Praxis bieten von der Mitgliedschaft bzw. der praktischen Mitarbeit in einem Tauschring.

Ich glaube nach wie vor an die gestalterische Kraft des Slogans “Tauschen ohne Geld”. Allerdings versteh ich heute die Begriffe “Tauschen” und “Geld” vollkommen anders als zu Zeiten meines Einstiegs.

Tauschen verstehe ich heute mehr in Richtung “austauschen”, “kommunizieren”, “solidarische und nachhaltige Lebenszusammenhänge organisieren”.

Ohne Geld” verstehe ich speziell in diesem Satzzusammenhang eher als “Ohne Hierarchie” oder positiv gesprochen “Egalitär”. Einige Tauschringausprägungen haben dies ja auch ausgedrückt mit dem Satz:

Lebenszeit ist Lebenszeit. Egal ob Toiletten putzen oder Computerhilfe.

In dem letzten Absatz zeigt sich für mich eine grundlegende Schwierigkeit. Die Begriffe verändern sich im Laufe eines Lebens.

Ich glaube sogar Sie verändern sich noch viel tiefgreifender im Verlauf von Generationen. Und somit stehen wir als Gemeinschaft immer wieder vor einer schwierigen Entscheidung.

Ist es sinnvoll und unterstützend die eingeführten Begriffe - hier z-B. Geld - mit neuem, aktualisiertem Inhalt zu füllen und damit unsere Wurzeln zu achten oder ist es angebracht den alten Begriff loszulassen und und eine ganz neue Wortpflanze zu setzen?

In meiner Tauschringpraxis - ich bin seit 2014 kein Mitglied mehr - habe ich etwas Wichtiges zu dieser Frage gelernt.

Begriffe können nur eine grobe Orientierung geben.

Wirklich Wichtig ist es allerdings wie wir im Alltag mit unseren Mitmenschen und unserer Umwelt tatsächlich umgehen. Schon früh in meinem Leben habe ich mir dazu den Begriff “Ungeprüfte Vorstellung” zu eigen gemacht. Einer ungeprüften Vorstellung aufzusitzen geschieht sehr schnell. Kaum haben wir etwas ein oder zweimal auf eine bestimmte Weise erlebt, schon ergibt sich in unserem Denken ein Muster.

Dann sage ich: Das ist so und so, nicht mehr das habe ich die letzten zweimal so erlebt und es kann in der Zukunft jederzeit wieder anders sein.

Ich erinnere mich an dieser Stelle an eine Geschichte die mir mein Vater erzählt hat und die die Auswirkungen dieses Verhaltens ziemlich radikal auf den Punkt bringt: Ein Kollege meines Vaters - seines Zeichens auch Reisebusfahrer - kommt mit seinem 12 Tonnen schweren Bus nach Hause.

Damals war es durchaus üblich den Angestellten dies zu erlauben. Nun sah er vor seinem Haus den leeren Waschmaschinenkarton stehen. Ach ja, heute war ja die neue Maschine gekommen. Diese Kartons sind immer sehr stabil. Warum also sollte er die Mühen auf sich nehmen und nach der anstrengenden Schicht mit körperlichem Einsatz mühsam diesen Karton zerreißen. Viel einfacher ist es doch einfach mit dem Bus über den Karton zu fahren und Ihn “platt zu machen”.

VORSICHT - UNGEPRÜFTE VORSTELLUNG

Ja, vielleicht ahnen ja einige schon welcher ungeprüften Vorstellung dieser Mensch aufgesessen war.

Jedenfalls konnte der Kollege im Nachgang nicht mehr sagen, warum er das Problem dann eigentlich doch nicht mit dem Bus erledigt hat. Als er an dem Karton vorbeifahrend in seinen Außenspiegel schaute, blieb ihm fast das Herz stehen.

Er sah seinen eigenen Sohn aus dem Karton krabbeln. Für Ihn war das eben kein leerer Karton sondern eine Bude, die es zu entdecken galt.

Ja, Krass. Und … hat nicht schon jeder eine ähnliche Situation erlebt. Vielleicht nicht immer mit so bedrohlichen Konsequenzen.

Sich auf Begriffe zu verlassen bedeutet also ein Stück weit einzuschlafen.

Damit verlieren wir schleichend den Bezug zum Augenblick und irgendwann fangen wir an am eigentlichen Leben vorbeizuleben.

Das einzig hilfreiche Mittel ist Achtsamkeit und zwar Täglich, Stündlich, Augenblicklich.

Nicht umsonst gibt es in manchen Klöstern die Achtsamkeitsglocke. So Sie geläutet wird verharrt jeder in einem Moment der Stille, des Nicht - Tuns, des bewussten Spürens, des im Augenblick ankommens.

Nun ich hoffe ich konnte Dich ein wenig an der Faszination teilhaben lassen, die mich vor langer Zeit erfasst und eigentlich nie mehr losgelassen hat.