Dieser Artikel ist zuerst in meinem Buch Faszination Tauschring erschienen. Die Übersicht dazu in chronologischer Reihenfolge befindet sich hier.
Nun da ich diesen Satz "Es gibt gar keine Tauschringe in Deutschland!" endlich mal ausgesprochen habe, tun sich ganz neue Möglichkeiten auf.
Was sind das denn dann für Initiativen in denen sich Menschen unter einem bestimmten Begriff zusammenfinden. Vielleicht bedarf es vorerst keiner Differenzierung innerhalb der Tauschringe bzw. weiter gefasst der Tauschsysteme.
Vielleicht ist der wichtigere Schritt ja das Gemeinsame herauszuarbeiten.
Ich erinnere mich noch sehr genau an unseren Ansatz für das Bundesarbeitstreffen der Tauschringe (BATT) 2008 in Nordwalde:
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Wir wollten gemeinsam untersuchen inwieweit sich unter dem Begriff Tauschring vielleicht so unterschiedliche Ideen summieren, dass es sinnvoll ist diese Ideen begrifflich zu differenzieren.
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Wir hatten gehofft, dass sich dann aus dem relativ undifferenzierten Tauschringbrei verschiedene Arten herauskristallisieren und diese verschiedenen Arten sich dann viel kräftiger Entwickeln.
Doch dies wurde von den Menschen als Separatismus wahrgenommen und Sie wehrten sich mit Händen und Füßen.
Vielleicht wird ja umgekehrt ein Schuh draus.
Damals war es unglaublich wichtig sich “gemeinsam” zu fühlen. Vielleicht ist ja das Gemeinsame in ersten Schritt tatsächlich viel wichtiger und das Spezielle zuerst zu vernachlässigen.
Gerade erinnere ich mich an mein Erleben des Tauschforums 2016 in Luzern (Schweiz).
Geladen als Speaker zum Thema “Die Zukunft des Tauschens” war ich schon morgens anwesend und hörte der Versammlung zu, um ein Gefühl für die Wünsche der anwesenden Menschen zu bekommen.
Und tatsächlich habe ich dann meinen geplanten Vortrag gecancelt um ein offenes Gespräch mit den Teilnehmern zu führen. Mir schienen die Intentionen der Aktiven dieses Treffens doch sehr unterschiedlich.
Obwohl Sie die gleichen Begriffe verwendeten, schienen Sie doch Unterschiedliches ausdrücken zu wollen.
So stellte ich vor der Mittagspause die Frage:
Mit welcher grundsätzlichen Intention seid Ihr in euren Tauschring eingetreten? Mit einer Sozialen, Solidarischen oder mit einer Wirtschaftlichen?
Nach der Pause war ich nicht sonderlich überrascht, das 95 % eindeutig aus sozialen Gründen in Ihren Tauschring eingetreten sind.
Nur ein einziger Vertreter eines wirklich professionell organisierten Tauschsystems nannte wirtschaftliche Intentionen als Beweggrund.
Spannend dabei war, dass alle mit Begriffen wie Guthaben, Schulden und Buchhaltung hantierten. Doch das Verständnis hinter diesen Begriffen war fundamental Anders.
Für mich deckt sich diese Wahrnehmung mit vielen Erlebnissen in meiner aktiven Tauschringzeit.
Ich dachte als Unternehmer ich wäre in eine Lokale Wirtschaftsinitiative (Tauschring LOWI Münster) eingetreten und musste mühselig lernen, dass die wirtschaftliche Ausrichtung - die in der Gründungsphase sicherlich vordergründig war - sich nach und nach im Tauschalltag verwandelt haben musste.
Denn auch der LOWI hatte ein horrende überzogenes Verwaltungskonto das mit ca. 1.650 Stunden (33.000 Talente) im Minus stand.
Aber niemand störte sich daran. Es wurden Talente für Vereinsarbeit ausgegeben als wenn es kein Morgen gäbe. Später lernte ich dann auch andere Tauschringe kennen, die ein noch viel höher überzogenes Verwaltungskonto hatten.
Und das Faszinierende: Fast alle diese Tauschgemeinschaften schienen trotzdem lebendig zu sein. Ich habe lange nicht verstehen können, wie das möglich sein kann.
Doch unter dem neuen Focus “Intention” kann ich langsam erahnen, dass es vielen Menschen nie um wirklichen Tausch gegangen ist.
Und da scheinbar die Intentionen nie tiefgehend angeschaut wurden, konnte jeder seine persönlichen Wünsche auf und in den Tauschring projizieren.
Jetzt erklärt sich für mich auf eine ganz neue Art, warum sich viele Menschen trotz des ungeklärten Intentionsbreis in Tauschringen wohl fühlen.
Jetzt wird mir auch klar, dass die begriffliche Ungenauigkeit die in dem Wort Tauschring steckt, für viele anscheinend gar kein Hinderungsgrund ist, sondern eher das Gegenteil.
Da die Intentionen ungeklärt sind, kann ich fast problemlos meine eigenen Intentionen ausleben ohne je wirklich an Grenzen zu stoßen.
Wenn ich jemand bin, der seine durchaus vorhandenen Talente und Fähigkeiten in der normalen € Welt nicht mehr honoriert bekommt, dann fühlt es sich natürlich super an ein dickes Stundenguthaben sein Eigen zu nennen und damit ein über ein Art Sicherheitspolster zu verfügen.
Nun verstehe ich auch die Bestrebungen die Begrenzung der Limits im Plusbereich aufzuheben noch einmal ganz neu.
Wenn ich jemand bin, der sich vom Leben abgehängt fühlt, dann kann ich konsumieren ohne an eine direkte Gegenleistung gebunden zu sein. Wenn dann durch die Orgagruppe oder den Vorstand eine fast grenzenlose Schöpfung von Minusstunden zugelassen wird, bin ich genauso wie der Guthabenbesitzer nicht genötigt mich mit wirklichem nachhaltigem Tausch zu beschäftigen.
Eine weitere, zweigeteilte, Intention zeigt sich darin, dass in Tauschringen immer wieder Autokraten - manche sagen auch Kümmerer dazu - das Heft des Handelns in die Hand bekommen bzw. nehmen.
Dies bedeutet für die Einen ein relativ unkontrolliertes Machterlebnis und für die Anderen ein bequemes versorgt sein.
Neben diesen drei Hauptintentionen gibt es sicher noch viele Andere die sich bei näherer Betrachtung herausarbeiten ließen. Doch im Moment ist es mir wichtiger von oben auf diese Erkenntnis zu schauen.
Ich sehe mittlerweile in der Hauptsache ein Bedürfnis nach Gemeinschaft, nach Kontakt, nach Austausch über den persönlichen Lebenszusammenhang hinaus.
In unserer individualisierten Gesellschaft fehlt anscheinend vielen ein gemeinsames Moment, ein verbindendes Element, ein sozialer Ort dem ich angehöre und in dem ich trotzdem relativ frei handeln kann.
Wenn ich jetzt noch einmal auf den Titel dieses Beitrages zurückkomme, so scheint es sich bei den Tauschringen zwar um intentionale Gemeinschaften zu handeln, aber leider um welche, die Ihre gemeinsame Intention nicht genauer ausdifferenzieren wollen.
Hier finden sich Menschen zusammen die eine große Spielwiese für Ihre eigene Interpretation von Gemeinschaft suchen und auch wohl finden. Denn sonst gäbe es nicht so viele Tauschringe in Deutschland. Da sich Intentionen immer wieder verändern und eine nachhaltige Strategie gar nicht erwünscht ist, ziehen die Einen irgendwann weiter und die Anderen kommen neu dazu.
Ein stetiger Wechsel der bis zum heutigen Tage zu keiner nennenswerten, nachhaltigen Entwicklung geführt hat.
Ich persönlich finde diese Erkenntnis gerade sehr erfrischend. Denn nun kann ich mich endgültig vom dem Begriff Tauschring verabschieden.
Wohlgemerkt, von dem Begriff, nicht von der - jedenfalls für mich - dahinterstehenden Idee der Befreiung von der Diktatur des heutigen Gelddenkens.